Wir sind mit allen gut ausgekommen

sagt über ihre Kindheit in Pacov während der ersten tschechoslowakischen Republik Nelly Prezma, geborene Guttmanová

Prezma, geborene Gutmanová (90) erinnert sich an ihre Kindheit in Pacov vor dem 2 Weltkrieg, an den Transport der Juden aus Pacov ins Konzentrationslager und an ihre Rückkehr in die Tschechoslowakei nach dem Kriegsende. Das Gespräch wurde geführt und aufgezeichnet von Eva Sobotková in Israel, wo Frau Nelly seit 1948 lebt.

Erschienen in der Mainummer der Monatszeitschrift Z mého kraje und in verkürzter Form auch in  am 27. 1. 2017 in Pelhřimovský deník.

Sie haben ihre Kindheit während der ersten Republik erlebt. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit? Können Sie uns etwas über Ihre Familie erzählen?

Ich wurde nicht in Pacov geboren, sondern kam erst mit zweieinhalb Jahren dorthin. In Pacov ging ich in den Kindergarten und dann zur Schule, bis 1939 die Deutschen kamen und mich von der Schule warfen. Ich war damals dreizehn Jahre alt. Ich hatte eine Schwester Růža, eine Mutter Žofia und einen Vater Nathan, der als Rabbiner arbeitete und in Pacov Religion unterrichtete. Vater genoss nicht nur bei den Juden großes Ansehen, sondern auch bei allen Bürgern von Pacov, denen er oft half. Pacov war eine kleine Stadt, fast alle waren Bauern, sie bauten Kartoffeln an, sie wussten nicht, wie sie sich in offiziellen Angelegenheiten zurechtfinden sollten, also half ihnen Papa. Wir waren dort wirklich wie eine Familie. Meine Freundinnen stammten aus nichtjüdischen Familien, ich besuchte eine tschechische Schule. Mama war Krankenschwester, aber sie arbeitete nicht, sondern kümmerte sich um den Haushalt.

Wir lebten in der Malovcova-Straße Nr. 315. Wir waren nicht orthodox, mein Vater war reformorientiert. Auch an jüdischen Feiertagen und an Samstagen gingen wir zur Schule. Wir feierten den Schabbat nur während der Feiertage. Wir haben in der Schule alles gemacht, bis auf die großen Feiertage Rosch Haschana, Jom Kippur und Pessach. Wir hatten mit den Lehrern vereinbart, dass wir an wichtigen Feiertagen nicht zur Schule gehen müssen. Wir haben uns dort mit allen gut verstanden.

Können Sie uns auch etwas über andere jüdische Familien erzählen, mit den ihre Familie befreundet war?

In Pacov lebten etwa dreißig jüdische Familien. Unter ihnen waren Kaufleute und Bauern, und es ging ihnen allen gut, sie waren gut situiert. Ich erinnere mich an die Schecks, die Verwalter der Synagoge waren. Die Glasers hatten ein großes Landwirtschaftsgut und ich glaube, sie hatten drei Kinder, aber ich erinnere mich nur an ein kleines Mädchen, das sehr schön war. Dann waren da noch die Wieners, sie hatten einen Laden und einen Sohn, Jindra. Rechtsanwalt Wertheimer hatte einen Sohn namens Milan. Dann waren da noch die Lederers, sie hatten Zdeňka und Věra. Die Jokls hatten eine Schneiderei und einen Sohn, Vladimír. Dann waren da noch die Syneks, sie hatten auch einen Sohn, aber ich erinnere mich nicht an seinen Namen. Die Familie Gross lebte auf dem Platz, sie hatten einen Eisenwarenladen und einen oder zwei Söhne, aber ich weiß nicht mehr, wie sie hiessen. Und es gab auch die Pachners.

Zu den besten Freunden meines Vaters gehörte ein katholischer Dekan

Wie war in Pacov das Zusammenleben der jüdischen und nichtjüdischen Einwohnern?

Ich hatte in Pacov eine Freundin. Ihre Eltern waren einfache Leute, ihr Vater züchtete Pferde. Bevor die Deutschen kamen, putzte ihre Mutter in verschieden Häusern. Als die Deutschen kamen, sagte der Vater meiner Freundin: „Mach dir keine Sorgen, wir werden dich beschützen, aber die Juden aus Tábor sind uns egal, die können gehen.“ Er kannte keine anderen Juden, weil er Pacov nie verlassen hat. Es gab aber auch eine Familie, die ihrer Tochter einen jüdischen Namen gab, um zu zeigen, dass sie mit den Juden befreundet waren.

Kinder vor der ehemaligen jüdischen Schule in Pacov. Nelly Guttmannová steht rechts in der mittleren Reihe

Ich möchte auch sagen, dass einer der besten Freunde meines Vaters ein katholischer Dekan war. Sie diskutierten oft miteinander über die Bibel, der Dekan über das Neue Testament und der Vater über das Alte Testament. Wir hatten dort eine wirklich schöne Zeit. Natürlich gab es auch Antisemiten, insbesondere bevor die Deutschen kamen.

Ich hatte einen Lehrer, den ich sehr respektierte. Früher hatten Kinder großen Respekt vor Lehrern, nicht wie heute, wo jeder mit jedem befreundet ist und wo man sich gegenseitig beim Vornamen nennt. Das war damals nicht der Fall. Wenn jemand Lehrer war, respektierte ihn jeder. Wenn ein Kind den Lehrer traf und ihn nicht grüßte, wurde es bestraft. Ich habe während der Besetzung einmal meine Lehrerin getroffen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ob ich sie begrüßen soll oder nicht, denn wenn jemand gesehen hätte, dass ich sie grüsse, konnte sie einsperrt oder in ein Konzentrationslager geschickt werden. Ich hatte ein großes Dilemma. Aber sie ging auf mich zu und begrüßte mich, als sie mich sah. Das war für mich sehr ermutigend. Bis heute kann ich diese Lehrerin – sie hieß Frau Urbanová – nicht vergessen.

Und wie war die Atmosphäre während der Besatzung?

Ich erinnere mich, wie sie im Herbst 1940 Herrn Ludvík Poláček verhafteten, der in Pacov einen Gemischtwarenladen betrieb. Obwohl er nichts gemacht hat, wurde er verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht. Ein paar Wochen später schickten sie seine Asche nach Hause und sagten, er sei an einer Lungenentzündung gestorben. Ich war damals ein vierzehnjähriges Mädchen, und als ich das hörte, bekam ich plötzlich einen Anfall und fing an, hysterisch zu lachen. Dann begann ich zu weinen, weil ich nicht verstehen konnte, wie ein so gesunder Mensch plötzlich sterben konnte.

Die amtliche Benachrichtigung über den Tod von Ludvík Poláček.

Am Anfang der Okkupation sind Sie noch nach Prag gefahren, wo Sie bis zum Jahr 1941 gelebt haben. Können Sie uns auch darüber etwas mehr erzählen?

Im August 1940 ging ich nach Prag, um bei Frau Mašková, die in Smíchov ein Geschäft hatte, die Ausbildung zur Hutmacherin zu bestreiten. Ich wohnte damals in einem jüdischen Internat in Smíchov. Ich hatte dort eine Freundin, die keine Jüdin war. Wir waren gute Freunde, bis wir anfangen mussten, den Stern zu tragen, und ich wollte nicht mehr mit ihr gesehen werden, weil es gefährlich für sie sein konnte. Ich erinnere mich nicht mehr an ihren Namen. Sie lebte in Prag. Wir gingen immer gemeinsam zur Arbeit an der Ringer-Fabrik vorbei, wo auch Deutsche waren. Dort trafen wir einen Deutschen mit Hakenkreuz, der uns immer anlächelte und höflich begrüßte. Erst als er mich mit dem Stern gehen hat, bekam er einen Schock, denn er erfuhr, dass ich Jüdin war (Anm. d. Red.: Im Protektorat Böhmen und Mähren mussten Juden seit September 1941 einen Stern tragen).

Dreijährige Nelly Guttmannová mit ihrer Schwester Růža

Ich habe für diese Dame in Prag gearbeitet, bis sie anfingen, sie zu bedrohen, weil sie sahen, dass ich für sie arbeitete. Dann musste sie mich entlassen und ich kehrte nach Pacov zurück. Das war im November 1941. Meine ältere Schwester Růža und ihr Mann Arnošt Háček lebten zu dieser Zeit bereits in Prag. Die Schwester arbeitete in einem Bekleidungsgeschäft. Die Deutschen weigerten sich, ihre Ehe anzuerkennen, weil sie nicht im Büro, sondern in einer Synagoge heirateten. Ihr Mann wurde ins Ghetto in Lodz geschickt und sie wurde in Prag allein gelassen.

Als die Dame mich entließ, fuhr ich nach Hause. Damals durfte man nicht mitfahren, nur man eine Erlaubnis bekam und wir als Juden mussten im letzten Waggon sitzen. Ich sagte mir, dass ich nicht im letzten Waggon sitzen möchte, sondern dort sitzen würde, wo ich wollte, auch wenn ich einen Stern hatte. Ich saß im Mittelwagen, wo mich der Schaffner sah, aber er war sehr freundlich, ließ mich dort sitzen, und so fuhr ich bis Tábor. Dort stieg ich in einen Zug nach Pacov um und saß wieder im Mittelwagen. Der Schaffner kam und sagte mir, dass im letzten Waggon mehrere Juden aus Pacov seien. Ich bin dorthin gegangen, um nachzusehen, weil ich jeden kannte. Und wen habe ich gesehen? Meinen Vater. Er wurde zusammen mit mehreren anderen Juden bei der Gestapo in Tábor inhaftiert. Sie behandelten sie dort sehr schlecht und stießen den Vater die Treppe hinunter, ließen sie aber schließlich gehen. Also sagte ich: „Komm mit mir in die Mitte, du musst nicht hier im letzten Wagen sitzen, wir sind Menschen wie alle anderen und können sitzen, wo wir wollen.“ Sie hatten große Angst, weil sie in diesem Gefängnis waren . Es waren ältere Leute, also habe ich mich natürlich zu ihnen gesetzt, wir kamen in Pacov an, gingen nach Hause und ich sah, dass alle Fenster in unserer Wohnung kaputt waren. Mutter hatte statt Fensterscheiben Pappe hineingelegt. Es war schon kalt und es war schrecklich.

Und wie war dann Ihr Leben in Pacov?

Ich blieb zu Hause und unterstützte meine Eltern. Vater bekam kein Gehalt mehr, weil er nicht als Rabbiner arbeiten konnte, und so hatten wir nichts zum Leben. Ich arbeitete für eine andere jüdische Familie in Pacov, die Mellers. Frau Meller hatte eine Thrombose im Bein und durfte nicht gehen, und musste die ganze Zeit liegen. Ich habe ihr Haus geputzt und die Kaninchen gefüttert. Dann befahlen sie uns eines Tages, zur Arbeit in die kleine Stadt Kámen in der Nähe von Pacov zu gehen, wo jüdische Frauen und Kinder arbeiteten. Wir mussten um fünf Uhr morgens aufstehen und sie haben uns nach Kámen gebracht. Dort gab es eine Ziegelei, die einem Juden gehörte und die wir abreißen mussten. Wir standen immer morgens auf und gingen in Begleitung von Soldaten mit Gewehren nach Kámen. Dort haben wir bis zum Abend gearbeitet und am Abend wurden wir zurückgebracht. Wir mussten um acht Uhr zu Hause sein, da wir nach acht Uhr nicht mehr aus den Häusern raus durften.

Nelly sitzt, ihr Großvater hinter ihr und ihre Großmutter neben ihr. Links ihr Vater Natan Guttmann, Mutter Žofie Guttmannová und Nellys Schwester Růža.

Ohne das Gehalt meines Vaters hatten wir natürlich nichts zu essen, und ich hatte eine große Puppe in einem Rokoko-Kleid, die mir sehr gefiel, weil sie besonders war. In Pacov gab es eine Dame, die meiner Mutter sagte, dass sie Essen mit ihr gegen die Puppe eintauschen würde. Ich weinte und wollte meine Puppe nicht hergeben. Als ich nach einiger Zeit sah, dass wir nichts zu essen hatten, sagte ich: „Gib ihr die Puppe, damit wir etwas zu essen haben.“ Wir bekamen Mehl, Margarine, Zucker und Kartoffel. Im Sommer ging meine Mutter in den Wald, um Blaubeeren zu pflücken und Pilze zu suchen, die sie dann verkaufte, damit wir etwas zu essen hatten.

Natan Guttmann

Eines Freitags war Mutter gerade beim Putzen, als zwei Deutsche zu uns kamen. Sie waren sehr höflich und haben meine Eltern gut behandelt. Meine Eltern sprachen reines Deutsch, und diese Deutschen waren erstaunt darüber, wie literarisch meine Eltern sprachen. Mutter hat Brötchen gebacken und sie haben sie probiert. Es hat ihnen bei uns sehr gut gefallen und sie sagten, sie würden wiederkommen. Sie kamen ungefähr eine Woche später, wir waren alle zu Hause, und sie schickten mich und meine Mutter raus mit der Aussage, sie wollten nur mit meinem Vater reden. Sie sagten ihm: „Wir erlauben dir, nach acht Uhr auszugehen, wir erlauben dir, ins Kino und ins Theater zu gehen, aber du und deine Familie werden uns melden, wenn Juden draußen auf der Straße sind“. Mein Papa sagte ihnen, dass wir so etwas nicht tun würden. Sie gingen, aber dann wurde ihm befohlen, die Gehwege zu reinigen, und der Vater musste Hundekot mit den Händen aufsammeln.

Ein anderes Mal kamen sie und befahlen Papa, den jüdischen Fabrikanten Weiner über den Hauptplatz zu ziehen, der in Pacov eine Lederwarenfabrik hatte. Herrn Weiner wurden Ohren und Schwanz angebunden, man setzte ihn in einen Rollstuhl, man gab ihm eine Trommel, auf der er trommeln musste, und mein Vater musste mehrmals mit ihm über den Hauptplatz von Pacov gehen. Aber als die Leute von Pacov es sahen, ließen sie die Jalousien herunter, gingen nach Hause und wollten es sich nicht ansehen.

Es gab einige, die wegen all dem Bösen aufgehört haben, Menschen zu sein

Wie war Ihr Schicksal und das Schicksal Ihrer Familie nach der Deportation nach Theresesienstadt?

Im November 1942 wurden alle Juden aus Pacov zum Transport einberufen. Sie brachten uns mit Lastwagen nach Tábor und von Tábor aus fuhren wir mit dem Zug nach Bohušovice. Von Bohušovice sind wir zu Fuss nach Theresienstadt gelaufen. Später bauten sie direkt in Theresienstadt einen Bahnhof.

Die Deportation der Juden aus Pacov in das Konzentrationslager Terezín im November 1942.

In Theresienstadt blieb ich bei meiner Mutter. Papa war woanders. Mama arbeitete als Krankenschwester, konnte aber nicht viel helfen, weil es in Theresienstadt fast keine Medikamente gab. Aber sie konnte sich immerhin noch um die Kranken kümmern, bei denen es sich zumeist um alte Menschen handelte. Ich arbeitete im Kindergarten von Frau Cvikrová und wurde dann in ein Mädchenheim verlegt. Wir haben wirklich versucht, den Kindern das Leben zu erleichtern. Wir spielten mit ihnen, brachten ihnen etwas bei, sangen ihnen Lieder vor und gingen mit ihnen spazieren. Ich erinnere mich, dass wir an Pessach ein kleines Boot gebaut haben, in dem Moses lag, wir haben einen Korb gebastelt und wir haben auch ein traditionelles Seder-Fest organisiert, obwohl es nichts zu essen gab, aber irgendwie haben wir es geschafft. An einem anderen Feiertag, dem sogenannten Baumfeiertag bzw. Tu BIshwat, gingen wir mit den Kindern Bäume pflanzen. Als ich nach dem Krieg mit meinen Kindern nach Theresienstadt fuhr und diese hohen, wunderschönen Bäume sah, dachte ich darüber nach, wo die Kinder waren, mit denen ich sie gepflanzt hatte. Sie gingen alle ins Gas.

Nach meiner Ankunft in Theresienstadt wurde ich vom Kindergarten, in dem ich arbeitete, in das Mädchenheim versetzt, als in einem sehr kalten Winter alle Lehrerinnen im Mädchenheim erkrankten. Ich war damals sechzehn Jahre alt. Es gab ein kleines Mädchen im Haus, das viel durchgemacht und miterlebt hatte, wie ihre Eltern und Brüder ermordet wurden. Sie war sehr aggressiv, verletzte andere Kinder, schlug sie und niemand wusste, wie man sie behandeln sollte. Also begann ich darüber nachzudenken, was ich tun könnte. Ich dachte, ich würde alles so machen wie sie und sie hoffentlich für mich gewinnen. Wir versuchten herauszufinden, wen als nächsten der Stein treffen könnte, und plötzlich bemerkte ich, dass das kleine Mädchen zu lächeln anfing. Dann sind wir gemeinsam auf Bäume geklettert. Sie kletterte auf den Baum, ich kletterte auf den Baum, also band ich sie langsam an mich. Als die Schulleiterin es sah, war sie überrascht, wie ich das schaffen konnte. Sie wollten nicht glauben, dass ich erst sechzehn war. Vielleicht habe ich sie besser verstanden und ihre Zuneigung gewonnen, weil ich so jung war. Dann schlugen sie mir vor, im Mädchenheim zu bleiben und eine der Erzieherinnen zu werden. Das kleine Mädchen bekam von meiner Mutter ein Stück Stoff und das war ihr Talisman. Sie gab es mir, als sie hörte, dass wir mit einem Transport von Theresienstadt nach Auschwitz fuhren. Ich wollte ihr den Talisman nicht wegnehmen, ich wollte, dass er sie beschützte. Sie ging ins Gas und ich habe mich – wahrscheinlich dank dem Tuchfetzen – gerettet.

Und wie sind sie von Terezín nach Auschwitz gekommen?

Meine Schwester kam vor uns in Theresienstadt an. Wir wollten sie treffen, aber uns wurde gesagt, dass sie nach der Ermordung Heydrichs mit dem Straftransport nach Auschwitz gefahren sei. Nach dem Attentat schickten sie einen Straftransport von Theresienstadt nach Auschwitz und alle gingen direkt ins Gas. Aber das wussten wir nicht, und als uns nach der Ankunft in Theresienstadt gesagt wurde, dass meine Schwester nach Auschwitz gegangen sei, sagten wir, dass wir sie besuchen wollten, damit die ganze Familie zusammen sein könne. Wir hatten gehört, dass Auschwitz ein Arbeitslager sei, und meldeten uns daher freiwillig für den Transport. Als wir in Auschwitz ankamen, erfuhren wir, dass sie vergast wurde. Dies wurde uns von denen gesagt, die vor uns dort angekommen sind.

Im Dezember 1943 wurden wir nach Auschwitz transportiert. Wir wurden mehrere Tage lang in einem Güterwagen eingesperrt. Anstelle einer Toilette stand in der Ecke ein Eimer, aus dem etwas lief, weil so viele von uns im Wagen zusammengepfercht waren. Mehrere Menschen starben unterwegs und wurden in diesem Wagen zur Seite geworfen. Es stank dort fürchterlich. Im Waggon gab es ein kleines Fenster, das wir alle zu erreichen versuchten. Nach Ankunft in Auschwitz warfen sie die Leichen hinaus in den Schnee. Natürlich waren die Körper schon nach ein paar Tagen angeschwollen und hatten alle möglichen Farben. Der Rest von uns wurde schreiend hinausgestoßen. Sie haben uns alle eine Nummer auf die Hände tätowiert. Ich hatte die Nummer 70 882 und wohnte bei Mama und Papa. Wir sollten nur ein halbes Jahr im Lager leben, weil sie alle vom Theresienstädter Transport nach sechs Monaten ins Gas geschickt haben. Als ich dort ankam, war meine Freundin Ilona aus Theresienstadt bereits da, die sich ebenfalls freiwillig für den Transport angemeldet hatte, weil ihr Freund im Transport war und sie mit ihm fahren wollte. Sie kam im September 1943 nach Auschwitz. Als ich sie dort traf, fragte ich sie: „Was macht dein Freund?“ und sie sagte zu mir: „Wenn du wissen willst, was er macht, geh in diesen und jenen Block und schau. Ich verrate dir nichts, geh und sieh es dir selbst an.“ Natürlich wollte ich wissen, wie es ihm ging, denn er war sehr süß und wir waren früher gute Freunde. Als ich mich der Kaserne näherte, hörte ich jemanden fürchterlich schreien und sah, wie der Freund, den ich kannte, der früher ein so fröhlicher Kerl war, einen alten Juden mit einem Stock schlug. Ich kam auf ihn zu und fing an, ihn anzuschreien: „Was machst du, du bist verrückt, was machst du, hör auf!“ Hungrig? Dafür bekomme ich ein Stück Brot.“ Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Einige haben aufgrund all dieses Übels aufgehört, Menschen zu sein. Sie wussten nicht, was sie taten, denn es ist nicht so, dass man hungrig ist und etwas essen möchte. Es war so schmerzhaft, dass man es überhaupt nicht erklären kann. Bis heute kann ich zum Beispiel das Haus nicht verlassen, ohne etwas zu essen. Wenn ich schlafe, muss ich nachts aufstehen und essen. Und wenn ich nicht esse, spüre ich den Schmerz des Hungers, den wir damals hatten.

In Auschwitz gab es um fünf Uhr morgens Appelle, danach mussten wir das Auto mit Steinen beladen und ans andere Ende des Lagers fahren. Wir haben es dort abgeladen, sind zurückgekommen, und das alles mit dem Orchester. Es waren jüdische Künstler, die klassische Musik spielten. Am Abend mussten wir die Steine ​​erneut auf den LKW laden und an ihren ursprünglichen Standort fahren. Das haben wir jeden Tag gemacht. Ich habe einmal gehört, dass sie nach Frauen suchten, die uns das schwarze, schmutzige Wasser lieferten, das sie uns morgens zu trinken gaben. Wir sollten mittags Rote-Bete-Suppe mitbringen. Es waren Futterrüben für das Vieh, etwas Schreckliches, aber wir hatten nichts zu essen, also haben wir sie gegessen. Sie füllten es in Fässer mit Schaufeln auf jeder Seite, und wir trugen die Fässer auf langen Stangen. Wir waren die einzigen Mädchen und haben es zu viert geschafft. Als Belohnung durften wir dann die Reste an den Wänden abkratzen und ich habe sie mit meiner Mutter geteilt.

Das habe ich also getan. Es war Winter, wir lebten in einer Holzbaracke und die Leiterin unseres Blocks war eine Polin. Als ich einmal erfroren zurückkam, drehte ich mich unglücklich mit einem Stock aus einem Suppenfass um und schlug das Fenster ein. Sie kam heraus und schlug mich. Ich hätte fast angefangen zu weinen, nicht weil sie mich geohrfeigt hat, sondern weil sie mich so sehr gedemütigt hat. Aber am Ende habe ich mich zurückgehalten, weil ich nicht wollte, dass meine Mutter traurig darüber ist, dass ich geschlagen wurde. Diese Polin bewachte den ganzen Block und ich wollte nicht, dass meine Mutter es erfuhr. Aber es war wie eine Lawine, sofort begannen alle zu berichten, ich sei von einem „Typen“ geohrfeigt worden. Also kam ich zu unserer Koje. Mutter wusste es bereits, also lächelte ich ihr zu und sagte: „Es ist nichts, es ist passiert, weil ich ihr Fenster eingeschlagen habe.“

Hier kommt man nur durch den Schornstein raus

Im Frühjahr 1944 erfuhren wir eines Morgens, dass der Transport vom September 1943, mit dem meine Theresienstädter Freundin Ilona angekommen war, vergast werden sollte, da seit seiner Ankunft in Auschwitz bereits sechs Monate vergangen waren. Ich war gerade draußen und lieferte Essen aus, als ich sie sah. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, was ich ihr sagen sollte – sie war jung, gesund, lebendig, was soll ich ihr sagen, wie kann ich ihr Freude machen, was soll ich ihr sagen? Vielleicht, dass ich auch in drei Monaten ins Gas gehe, oder nicht, oder vielleicht auch nicht? Was soll ich ihr sagen? Ich glaube, sie hat mich gesehen, aber sie blickte geradeaus. Am Ende bin ich nicht zu ihr gegangen, ich konnte nicht gehen. Und das stört mich tatsächlich bis heute, weil ich nicht weiß, ob ich das Richtige getan habe oder nicht. Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.

Abends war es wirklich schrecklich. Wir durften nicht raus, nur diejenigen, die ins Gas gingen, aber wir hörten alles. Es gab solche, die einander vorsangen, solche, die schrien, und solche, die nichts sagten, sondern einfach liefen und liefen. Als alles still war, hörten wir nichts, rochen nur den Rauch, und als wir morgens aufstanden, sahen wir das Feuer aus dem Schornstein, in dem die Leichen verbrannt wurden. (Anmerkung der Redaktion: Die Ermordung tschechischer Juden aus dem sogenannten „Familienlager BIIb“ in Auschwitz-Birkenau am 8. März 1944 war der größte Massenmord an tschechoslowakischen Bürgern im Zweiten Weltkrieg.)

Ich bin morgens aufgestanden, weil ich den Tee ausliefern musste, und plötzlich sah ich ein hundert Mark Schein neben einer Koje liegen, also nahm ich die Banknote. Sie muss jemandem gehört haben, der ins Gas ging, es verloren hat oder es weggeworfen hat. Damals war meine Mutter krank, sie hatte starken Durchfall und ich wollte ihr dagegen etwas Tanalbin kaufen. Als ich das Tanalbin kaufte und zurückkam, sagte ich zu meiner Freundin: „Siehst Du, wie es ist, sie schicken Menschen in den Tod, und andererseits ist es wie ein Geschenk Gottes, dass ich die hundert Mark gefunden und Tanalbin für meine Mutter kaufen konnte.“ Und sie fing an zu weinen und sagte mir: „Weißt du, das Geld gehörte meiner Cousine.“ Sie suchte es und konnte es nicht finden.“ Ich fühlte mich sehr schuldig. Zumindest gab ich ihr die Zigaretten, die ich von dem Geld ebenfalls gekauft hatte, damit es auch ihrer Mutter besser ging. Meiner Mutter ging es besser, aber am Ende… Wir sagten immer – es war eine Art schwarzer Humor: „Der einzige Weg hier raus ist durch den Schornstein.“

Und so vergingen die sechs Monate. Wegen seiner Brutalität gaben wir dem Anführer unseres Lagers den Spitznamen „Bulldogge“, aber am Ende wurde er glücklicherweise in ein anderes Lager versetzt. An seine Stelle trat ein Krimineller, ein Deutscher, der Seemann war und betrunken jemanden ermordete. Deshalb wurde er nach Auschwitz geschickt und zum neuen Leiter unseres Lagers ernannt. Aber er war kein Antisemit. Im Gegenteil, er hatte eine Geliebte aus unserem Transport. Ich weiß nicht, ob es an ihr lag, vielleicht hat sie ihn auch überzeugt. Am Ende des halben Jahres ging er zu einem hochrangigen Offizier und sagte zu ihm: „Wissen Sie, es gibt in Deutschland keine Menschen, die arbeiten können, und hier sind fünfhundert junge Frauen, die das können.“ Das hat uns tatsächlich befreit, und wir gingen zur Arbeit nach Hamburg. Zuvor durchliefen wir ein Auswahlverfahren, bei dem wir uns ausziehen mussten, SS-Männer unter uns gingen und entschieden, ob wir zur Arbeit nach Hamburg gehen können oder nicht.

Und wie ist es Ihnen in Hamburg gegangen?

In Hamburg war es nicht besser, aber wir waren einfach nicht in der Nähe der Gaskammern und Krematorien. Wir mussten die Trümmer der Bombenangriffe beseitigen und die Ziegel reinigen. Im Winter wurden wir in offenen Booten zur Arbeit gebracht. Es war sehr kalt. Es war warm am Kamin des Maschinenraums und jeder wollte sich dort hinsetzen, um sich ein wenig aufzuwärmen. Natürlich haben wir uns deswegen gedrängt und gestritten. Die Deutschen fanden es sehr lustig und freuten sich, dass wir um einen warmen Platz kämpften. Sie schickten uns in alle ausgebombten Viertel, die sie verlassen hatten, und wir arbeiteten dort.

Einmal suchten wir in den Trümmern nach etwas Essbarem. In einem Haus fanden wir Kartoffelschalen und plötzlich sprang ein Huhn auf uns los, also fingen wir es und töteten es. Es gelang uns, alles ins Lager zu bringen, wo wir die es kochten und aßen. Einmal fand auch ein Mädchen etwas und brachte es ins Lager, doch an diesem Tag wurde es bei einer Kontrolle gefunden. Als wir dann abends beim Appell standen, befahl ihr der Vorarbeiter, sich auszuziehen und fing an, mit einem Knüppel auf sie einzuschlagen, was sie natürlich nicht aushalten konnte, hinfiel und starb.

Das war in Hamburg, wo wir im Hafenviertel wohnten. Dann brachten sie uns nach Neugraben, wo es eine große Razzia gab. Die Briten warfen immer Leuchtraketen, wenn sie irgendwo Bomben abwerfen wollten, und wir waren in diesem Zielgebiet. Ich hatte damals eine schwere Furunkulose. Mein ganzes Gesicht war voller Wunden und Eiter. Während des Luftangriffs lag ich im Koma. Die Ärztin konnte fast nichts dagegen tun, aber sie säuberte mein Gesicht mit einem Löffel und kratzte das Eiter heraus, während die Razzia zwei Stunden dauerte. Dann erzählte sie mir, was für eine tapfere Heldin ich gewesen sei. Als ich anfing zu weinen, bekam ich eine weitere Portion Suppe. Von Neugraben wurden wir nach Tiefstadt geschickt, wo wir Flugzeuge bauten. Nachdem die Fabrik bombardiert worden war, ließen sie uns die ganze Nacht in der Kälte und im Regen stehen und schickten uns am Morgen nach Bergen-Belsen.

Sobald mein Fuß den tschechischen Boden berührte, verging alles

Wir gingen zuerst zu Fuß nach Bergen-Belsen, dann wurden wir in den Zug verladen. Wegen der Luftangriffe wurde die Fahrt verlängert. Sie wollten uns in Bergen-Belsen nicht aufnehmen, weil sie wussten, dass sie uns mit dem Wenigen, das sie hatten, auch ernähren mussten. Wir waren etwa eine Woche dort, als der Blockleiter kam und sagte, dass ein Tisch in das benachbarte Lager gebracht werden müsse. Natürlich wollte niemand gehen, wir waren so schwach, dass wir keine Kraft hatten. Aber er sagte uns, dass es unterwegs Rüben geben würde, die wir nehmen könnten, wenn uns niemand sehen würde. Also habe ich mich mit drei anderen Frauen gemeldet und wir sind losgefahren. Wir kamen im ersten Lager an und plötzlich kam uns ein Jeep entgegen und auf dem Jeep war ein weißer Stern. Wir wussten nicht, was es war, und plötzlich hören wir, dass sie eine Fremdsprache sprachen, nicht Deutsch. Und der Soldat in diesem Jeep sagte uns, dass wir von nun an frei sind, keine Gefangenen mehr und dass wir nach Hause gehen können.

Als ich das hörte, verließ ich natürlich den Tisch und rannte zurück in unser Lager, um es allen zu sagen. Aber es war keine spontane Freude, denn wir waren so schwach, dass wir uns nicht einmal freuen konnten, und so saßen wir da und pflückten uns gegenseitig Läuse aus den Haaren. Dann hörten wir plötzlich einen Schrei und sahen, dass viele Gefangene die Zäune durchbrochen hatten und auf den Kartoffelhügel zuliefen. Jeder wollte ein paar Kartoffeln ausgraben. Aber es gab ungarische Soldaten, die uns bewachten, und sie begannen, auf uns zu schießen. Sie hatten Angst, sie konnten nicht verstehen, dass wir freie Bürger waren und sie nicht auf uns schießen durften. Dann sagte ihnen endlich jemand, dass sie aufhören müssen. Sie schlossen sie ein und wir waren frei. Doch auch nach der Befreiung starben viele von uns. Wir waren keine Menschen, wir waren Skelette. Ich wog fünfunddreißig Kilo. Die britischen Soldaten, die das Lager befreiten, wollten uns etwas geben, aber es war schwer verdauliches Dosenfutter. Ich sagte meinen Mithäftlingen: „Essen Sie keine Konserven, essen Sie Brot mit Zucker.“ Sie hätten mich fast erschlagen, weil sie dachten, ich wollte die Konserven für mich selbst haben. Viele Menschen starben, weil sie uns ungeeignetes Essen gaben.

Später kam das Rote Kreuz und begann mit der Behandlung. Ich hatte Durchfall, sagte mir aber immer wieder, ich solle mich nicht hinlegen, weil ich wusste, dass ich ohnmächtig werden würde. Also machte ich weiter. Mir war sehr schlecht, aber ich habe mich nicht hingelegt. Ich hatte die ganze Zeit über diesen Durchfall, als ich in Bergen-Belsen war. Sobald mein Fuß tschechischen Boden berührte, verging alles.

Und wie hat sich Ihr Leben nach dem Krieg verändert?

Nach dem Krieg lebte ich in Prag in einem Heim für Aussiedler. Ich habe Zahntechnik gelernt. Im Labor war ein Mädchen, ein Jahr jünger. Sie versuchte näher an mich heranzukommen, aber ich hatte das Gefühl, dass wir uns nicht verstehen konnten. Obwohl ich genauso alt war wie sie, fühlte ich mich hundert Jahre älter, weil ich etwas anderes erlebt hatte. Ich habe mir gesagt, dass ich, nur unter Juden leben und mit Juden befreundet sein kann, weil nur sie wissen, was wir durchgemacht haben.

Dieses Mädchen, Christin Jindra Kulhánková, wollte jedoch immer noch in meine Nähe kommen. Als wir in der Stadt waren und als es anfing zu regnen, versteckte ich mich in der Arkade und traf sie dort, weil sie sich dort auch versteckte. Wir kamen ins Gespräch und sie lud mich ein, mit ihr zu ihren Eltern zu gehen. Also ging ich zu ihnen nach Hause und so wurden wir Freundinnn. Sie sagte, dass sie mich kennenlernen wollte, weil sie noch nie einen Juden getroffen hatte: „In der Schule wurde uns beigebracht, dass Juden keine Menschen sind und plötzlich kommst du, ziehst dich an wie ich, lachst und ich sehe, dass du ein Mensch bist wie ich.“ Also wir sind wirklich Kameraden. Ihr Vater mochte keine Juden. Mama war eine gläubige Katholikin, aber sie akzeptierte mich und umarmte mich. Als ihr Vater mich besser kennenlernte, änderte er seine Meinung. Ich wiederum nahm sie in meinem Betrieb auf und sie wurde eine von uns. Ich habe mich wirklich mit ihr angefreundet und lange Zeit mit ihr korrespondiert, als ich nach Israel ging. Aber dann habe ich aufgehört, als die Kommunisten kamen, um sie nicht zu bedrohen. Wir haben derzeit keinen Kontakt.

Sind Sie der Meinung, dass es wichtig ist, in Pacov die Erinnerungen an die ehemaligen jüdischen Mitbewohner wachzuhalten und was muss dafür getan werden?

Ich denke, dass es einerseits wichtig ist, andererseits weiß ich es nicht. Vielleicht nur, damit die nächste Generation in Pacov weiß, dass dort einst Juden lebten. Als ich nach 1989 mit meinen beiden Söhnen nach Pacov kam, wollte ich ihnen zeigen, wo wir lebten, und wir fuhren dorthin. Das Haus war geschlossen, also klingelte ich und fragte, ob sie mir und den Kindern erlauben würden, die Wohnung, in der wir früher gelebt hatten, zu besichtigen. Als die Dame hörte, dass ich Nelly Guttmann war, fing sie an, mich zu umarmen. Sie sagte, sie hätte von meinen Eltern gehört. Ich fragte sie: „Wer bist du, dass ich dich nicht kenne?“ Sie erzählte mir, dass sie zwei Jahre nach dem Transport geboren wurde, aber ihre Eltern erzählten ihr von mir und meinen Eltern.

Ich wollte auch meinen Söhnen zeigen, wo die Synagoge war, in die mein Vater und ich gingen. Man hat mir gesagt – Anm. des Übersetzers: fälschlicherweise und unklar warum – dass das Gebäude abgerissen wurde. Ich bin nicht gläubig, aber diese Nachricht war für mich sehr schmerzlich. ✡