Auf unserer Homepage werden bruchstückhafte Erzählungen der Überlebenden festgehalten. Wie in anderen europäischen Ländern und Städten behandeln diese Geschichten nur einen kleinen Bruchteil der jüdischen Bewohner und Bewohnerinnen. Über die überwiegende Mehrheit der Juden und Jüdinnen aus Pacov wissen wir sehr wenig oder gar nichts. Dennoch ist es wichtig, dass zumindest die Fragmente, die im Gedächtnis ihrer Zeitgenossen festgehalten und von nachfolgenden Generationen weitergegeben und für die Zukunft erhalten bleiben.
Professor Hladílek erinnert sich an Herrn Gross, der früher ein Geschäft auf dem Hauptplatz hatte. Die Mutter von Herrn Hladílek ging zu Beginn der Besetzung in diesen Laden einkaufen. Herr Gross ermutigte Frau Hladílková, alles was sie brauchte kostenlos mitzunehmen, was später im Krieg eine Seltenheit wurde, wie zum Beispiel Seife. Offenbar ahnte er, was in naher Zukunft passieren würde, und forderte Frau Hladílková auf, die zögerte, weil sie nicht genug Geld hatte, sich nicht zu schämen, weil ihm sowieso bald alles weggenommen würde. Herr Gross verlor nicht nur seine Waren, sondern auch sein Haus und seinen Laden, in dem später das Hauptquartier der tschechischen faschistischen Organisation Vlajka untergebracht wurde. Er selbst und seine ganze Familie kamen in Konzentrationslagern der Nazis ums Leben. Aus der Vergangenheit blieb nur ein Foto eines der beiden Söhne der Familie Gross in der Sokol-Uniform erhalten.
Frau Anna wurde im Jahr 1938 geboren. Im selben Jahr wurde auch Jindřiška Schecková geboren. Wie ihre Schwestern Marta und Helenka hatte sie nach ihrem Vater Vítězslav Scheck rote Haare. Frau Anna erinnert sich, dass die Scheck-Kinder in der Malovcová-Straße vor dem Gebäude spielten, in dem der Rabbiner lebte und in dem sich früher eine jüdische Schule befand. Eines der kleinen Mädchen hatte laut Frau Anna Haare, die glänzten, als wären sie aus Kupfer. Die ganze Familie Scheck, d.h. beide Elternteile und ihre drei kleinen Töchter, von denen Helenka zum Zeitpunkt des Transports erst zwei Jahre alt war, kamen in Auschwitz ums Leben.
Frau Anna erinnert sich auch an den Transport der Juden im Jahr 1942. Ihr Vater war bei der Stadtverwaltung als Nachtschichtarbeiter angestellt. Am Tag des Transports, der abends unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, bestimmte er die Versammlungszeit. Dadurch konnte er miterleben, wie der Transport ablief. Er kam sehr verärgert nach Hause, weil die Kinder weinten, als sie auf die Lastwagen gesetzt wurden, die sie nach Tábor brachten. Er vertraute seiner Frau an, dass „sie sie nicht weit bringen werden, sondern irgendwo im Wald absetzen werden, wo sie dann begiessen werden.“ Seine Tochter verstand nicht, was „begiessen“ bedeutete, also fragte sie ihn. Der Vater erkannte, dass er sich in Anwesenheit seiner Tochter verplapperte und sprach vor ihr nie mehr über die Juden.
Eine andere Erinnerung aus Pacov betrifft Zdenka Ledererová. Eine Einwohnerin von Pacov erinnert sich an die Geschichte ihrer Großmutter, die eine Freundin von Zdenka war. Die Grossmutter bekam während der Besatzung die Nachricht, dass Zdenka sie sehen möchte, und ging zu ihr. Sie fand sie in einem Raum, in dem es dunkel war und Zdenka fast regungslos lag. Die Grossmutter war damals auf Zdenka wütend und verstand nicht, warum sie sie eingeladen hatte. Erst viel später begriff sie, dass Zdenka von dem bevorstehenden Transport wusste und sich von ihr verabschieden wollte. Ihre Sorgen und Trauer hinderten sie jedoch daran. Die Grossmutter verstand es erst viel später. Nach den Erinnerungen von Zdenka Ledererovás Schwester Věra veränderte sich Zdenka stark, nachdem ihr Vater 1940 von der Gestapo verhaftet wurde. Angeblich auch, weil Zdenka auf einer Tanzparty gesehen wurde, zu der ihr als Jüdin der Zutritt verboten war. Nach der Verhaftung ihres Vaters verfiel die bis dahin fröhliche und unbeschwerte Zdenka in Melancholie und Depression. Ihr Vater Emil Lederer wurde von der Gestapo nach Dachau und später nach Buchenwald gebracht, wo er 1942 starb.
Über viele anderen Juden und Jüdinnen aus Pacov gibt es nicht einmal überlieferte Erzählungen. Es gibt jedoch persönliche Dokumente und Briefe, welche die Gefühle und Stimmungen von Autoren und Adressaten einfangen. Dank ihnen können wir z.B, über die Ängste und Spannungen in der Familie Lederer lesen, die die Mutter von Zdenka und Věra, Berta, am 15. März 1940 (also genau ein Jahr nach dem Beginn der Nazi-Besatzung) im Brief an ihre Schwester Bohumila (Miluška) Lustigová beschreibt. Allerdings gibt es in gleichen Brief auch Lichtblicke, z.B. wenn Berta Ledererová von einem Besuch bei „Handa“ bzw. Hana Poláčková schreibt, welche „vernünftig und ein sehr nettes und hübsches Mädchen ist, die aber nicht will, dass man sie noch hübscher macht und darüber haben wir gelacht“.
Darin dankt Berta Ledererová ihrer Schwester Miluška, dass sie ihre Tochter Věra für die Betreuung von Miluškas kleinem Sohn Jiří, der im Dezember 1939 geboren wurde, angeboten hat. Im Frühjahr 1940 schloss nämlich Věra ihr Studium an der Sozialschule in Prag ab und wurde Krankenschwester. Ihre Mutter erklärt aber, dass Věra nach ihrer Rückkehr nach Pacov zunächst ausruhen und auch Französisch lernen müsse. Berta Ledererová ahnt nicht, dass ihr Mann zwei Wochen nach dem Schreiben des Briefes von der Gestapo verhaftet wird. Věra Ledererová lernt wirklich Französisch und nutzt ihre Kenntnisse im Arbeitslager Christianstadt, wohin sie 1944 deportiert wird, um eine Beziehung zu französischen Kriegsgefangenen aufzubauen. Eine der Aufseherinnen bemerkt dies und beauftragt sie, neidisch auf Věras Sprachkenntnisse, mit der schwersten Aufgabe, Bäume zu fällen, was zur Folge hat, dass Věra vor Erschöpfung fast stirbt. Jiří Lustig, seine Mutter Bohumila Lustigová und Berta Ledererová starben alle in Auschwitz.
Aus derselben Zeit im Frühjahr 1940 gibt es auch einen Brief von Věra Ledererová, die, wie wir bereits wissen, gerade ihr Studium in Prag abgeschlossen hat. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie beschreibt sie sich selbst als „fertige und gut auf das Leben vorbereitete Krankenschwester“ und auch als Person, „der man kleine Kinder anvertrauen kann“. Sie freue sich darauf, nach Pacov zurückzukehren, auch wenn man „in Prag großartig lebt und ein Grammophon im Zimmer hat“. Bald wird sie kein Grammophon mehr hören können, denn als Jüdin wird sie kein Recht haben, Radiogeräte und Musikinstrumente zu besitzen. Sie freut sich sehr auf ihren Neffen Jiříček, den sie noch nicht gesehen hatte und auf dessen Fotografie sie ungeduldig wartet. Im Familienalbum der Familie Lederer blieb ein Foto des kleinen Jiříček Lustig erhalten, der in Auschwitz ums Leben kam.
In einigen Briefen finden wir Erinnerungen an das Leben vor dem Krieg, als es nur Allltagssorgen gab, ohne einen Hinweis auf die zukünftige Tragödie. Im Jahr 1925 schrieb Marie Weinerová an Frau Poláčková und empfahl ihr, Karlsbad zu besuchen, um ihr krankes Bein zu heilen, denn „Karlsbad ist die einzige Hilfe bei dieser Krankheit und das ganze Geld, das sonst den Ärzten bezahlt, ist verschwendet.“ In Karlsbad gäbe es auch Frau Dr. Autengruber und auch Frau Langerová, die „eine Woche früher als geplant nach Hause geht – sie sieht sehr gut aus“. Auch Marie Weinerová mit ihren Töchtern und Hermína Langerová kamen alle in Auschwitz ums Leben.
Und manchmal blieb noch weniger erhalten – wie z.B. eine Vorkriegszeichnung im Skizzenheft aus der Volksschule in Kamnice nad Lípou unterschrieben mit Initialen von V. Lustigová.
Wir sind leider nicht im Stande, alle Juden und Jüdinnen, die in Pacov lebten, zu porträtieren, finden es aber trotzdem wichtig, dass die Erinnerungen an sie wenigstens unvollständig und bruchstückhaft erhalten bleiben.
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