sagt die amerikanische Künstlerin und Pädagogin Karen Koblitz
Mein Name ist Karen Koblitz. Ich lebe in Los Angeles, Kalifornien und bin Künstlerin. Ich beschäftige mich mit Keramik, die ich auch als Fach an der Roski School of Art & Design der University of Southern California in Los Angeles unterrichte. Meine familiären Wurzeln reichen nach Osteuropa – nach Russland, Südböhmen und Österreich-Ungarn – zurück. Ich bin verheiratet, mein Mann Alan Friedenberg arbeitete als Grundschulleiter und ist jetzt im Ruhestand. Meine Tochter Gina studiert Spanisch und Psychologie an der University of Southern California.
Ihre familiären Wurzeln reichen bis nach Südböhmen und Pacov zurück. Können Sie uns etwas darüber erzählen?
Ich habe mich schon immer für meine Familiengeschichte interessiert. Der Nachname meines Vaters und meines Großvaters Koblitz reicht weit zurück, aber mein Vater hat nie über unsere Familiengeschichte gesprochen. Ich wusste nur, dass seine Familie aus Böhmen stammte. Da ich mehr über meine Wurzeln erfahren wollte, begann ich, selbst die Geschichte meiner Vorfahren zu erforschen. Dadurch lernte ich 2010 Julius Müller kennen, den Direktor des Prager Toledot – Zentrums für genealogische Forschung, den ich um Hilfe bei der Suche nach meinen tschechischen Vorfahren bat. Julius Müller fand heraus, dass mein Ururgroßvater Mojžíš Koblitz 1873 aus Böhmen in die Vereinigten Staaten auswanderte und sich in Cleveland, Ohio, niederließ.
2014 kam ich mit meinem Mann nach Prag und lernte persönlich Julius kennen, der mich zu den Orten mitnahm, aus denen meine Vorfahren stammten. Julius dokumentierte meine Familiengeschichte bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als meine Ururgroßeltern Josef Geršon Koblitz und seine Frau Katharina Lowi Koblitz im Haus Nr. 10 in Bradáčov lebten. Josef und Katharina erhielten den Namen Koblitz vom Gutsbesitzer, auf dessen Grundstück sie lebten (Anmerkung: Der Name Koblic stammt wahrscheinlich von der deutschen Form des Dorfes Chobolice, bzw. Koblice bei Litoměřice). Der Name wurde dann in Koblitz eingedeutscht, wie es die österreichischen Behörden von den Juden verlangten.
Josef und Katharina hatten viele Kinder. Einer von ihnen war mein Ururgroßvater Mojžíš, der um das Jahr 1815 geboren wurde. Im Jahr 1853 heiratete er Rozália Růžičková in der Synagoge von Babčice. Nach Rozálias Tod im Jahr 1859 heiratete Mojžíš ein zweites Mal, diesmal Johanna (Julia) Mellerová. Die Hochzeit fand 1860 in der Synagoge in Pacov statt. Julia Mellerová stammte aus Pacov. Mojžíš verdiente seinen Lebensunterhalt als Händler mit Kuhfellen, Schafwolle und Federn. Nach Angaben des Standesamtes lebte er in Südböhmen in Bradáčov, Pohnání, Mostek und Rodná. Er gehörte den jüdischen Religionsgemeinschaften in Babčice und Pacov an.
Ihr Ururgroßvater wanderte später in die USA aus. Auch hierzu haben Sie eine Reihe interessanter Dokumente gefunden…
Ich fand Belege dafür, dass Moses und Julia Koblitz 1873 auf dem britischen Transportschiff Panther in die Vereinigten Staaten kamen. Die Reise führte von Hamburg zum britischen Hafen Hull und von dort nach New York. Als Passagiere sind laut Schiffsunterlagen Mojžíš (56 Jahre alt), Johanna „Julia“ (56), ihre sechs Kinder im Alter zwischen 9 und 28 Jahren, eine Schwiegertochter und ein sechs Monate alter Enkel aufgeführt .
Mein Urgroßvater Alois, auch Louis genannt, war eines von sechs Kindern, die nach Amerika ausgewandert sind. Er war damals 19 Jahre alt. In Amerika wählten sie offenbar Cleveland, Ohio, als Endziel, da Mojžíšs Bruder Markus, der ebenfalls in Bradáčov geboren wurde, nach Amerika auswanderte und sich 1866 in Cleveland niederließ. Im Jahr 1870 wanderte einer der Söhne von Mojžíš und Rozálie – Josef – nach Amerika aus. Offenbar war es der Briefwechsel mit Verwandten, der Moses zur Auswanderung veranlasste, denn in Amerika gab es für Juden weder im Berufs- noch im Privatleben Diskriminierung. Ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten erwartete ihn.
Können Sie uns mehr über ihren Lebensweg in ihrer neuen Heimat erzählen?
Ich glaube, die Familie sprach mit den Nachbarn Deutsch, ein wenig Hebräisch und Tschechisch. Ich kann mir vorstellen, wie schwierig es für sie gewesen sein muss, in ein neues Land zu kommen, dessen Sprache sie nicht kannten.
Sie integrierten sich jedoch bald in Cleveland. Zunächst verdienten sie ihren Lebensunterhalt mit dem Aufkauf alter Textilien, die sie an Tuch- und Papierfabriken weiterverkauften. Später begannen sie mit der Geschäftstätigkeit im Bau- und Immobilienbereich. Louis gründete 1912 zusammen mit seinem Bruder Joseph und seinem Sohn Lawrence (meinem Großvater) die American Brick Building Company. Louis hatte mit seiner amerikanischen Frau Hannah Cohen vier Söhne (Milton, Harry, Lawrence und Albert) und eine Tochter (Lilian). Aber die erste Generation der in den USA geborenen Koblitzes war nicht nur im Baugewerbe und im Immobilienbereich tätig: Milton wurde Anwalt und wurde später berühmt für seine Aussage vor dem US-Kongress, die zur Rettung vieler Juden und politisch Verfolgter aus Österreich und Deutschland – darunter der Schriftsteller Thomas Mann und der Komponist Arnold Schönberg – beitrug. Ein weiterer Sohn von Alois, Albert Koblitz, war Schriftsteller und Dramatiker, dessen Stück zeitweise auch am Broadway in New York aufgeführt wurde. Lillian heiratete und ihr Mann arbeitete im Bauunternehmen der Familie.
Es war für mich wichtig, die Synagoge in Pacov zu sehen
Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen Milton und Lawrence von Cleveland nach Los Angeles um. Auch mein Vater, Edward Koblitz, zog kurz nach seinem zwanzigsten Geburtstag mit seiner Familie nach Los Angeles um, wo er meine Mutter, Estelle Turetsky, kennenlernte. Vater leitete eine erfolgreiche Werbeagentur. Ich und meine Schwester Laura wurden in Los Angeles geboren. Die Schwester arbeitete als Assistentin in den Büros von Politikern in Washington und Denver. Ich bewundere meinen Ururgroßvater Moses sehr. Seine Entscheidung, die Heimat zu verlassen und nach Amerika auszuwandern, war sehr mutig.
Was hat Sie dazu bewogen, sich an der Renovierung der Pacov-Synagoge zu beteiligen?
Ich besuchte Pacov zum ersten Mal im Jahr 2014, als ich mich für das Leben von Mojžíš Koblitz in Böhmen vor seiner Auswanderung interessierte. Der Besuch der Pacov-Synagoge, wo mein Ururgroßvater und meine Ururgroßmutter Johanna geheiratet haben, war mir sehr wichtig. Es machte mich traurig, dass dieses wunderschöne historische Denkmal in einem so verwahrlosten Zustand war. Ich begann sofort darüber nachzudenken, wie ich das Gebäude erneuern und wieder zum Leben erwecken könnte. Ich habe mit Julie darüber gesprochen, mit ihr haben wir mögliche Alternativen besprochen. Ich halte es für wichtig, dass ein Teil der Synagoge als Museum der vierhundertjährigen Geschichte der jüdischen Gemeinde in Pacov dient und gleichzeitig den derzeitigen Bewohnern von Pacov für ihre eigenen Zwecke zur Verfügung.
Neben Ihnen interessieren sich auch andere amerikanische Organisationen und jüdische Religionsgemeinschaften aus der ganzen Welt für die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Pacov und für die Zukunft der ehemaligen Pacov-Synagoge. Warum ist das so?
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Prag etwa 1.600 Thorarollen gefunden, die aus tschechischen und mährischen Synagogen stammten. Die Nazis hatten ursprünglich vor, sie in einem Museum der ausgerotteten jüdischen Rasse einzusetzen. Auf der Suche nach meinen Vorfahren erfuhr ich von der Stiftung Memorial Scrolls Trust und dem Museum für tschechische Schriftrollen in der Westminster-Synagoge in London, in welchem 1.200 Schriftrollen restauriert und an Tempel und Synagogen auf der ganzen Welt verliehen wurden. Aus Pacov wurden sieben Schriftrollen mit dem Text der Thora gerettet. Ich kontaktierte Rabbi Ronald Roth von der Synagoge in Fair Lawn, New Jersey, wo eine dieser Schriftrollen aufbewahrt wird, über das Internet. Rabbi Roth studierte die Geschichte der Pacov-Juden, um die Schriftrolle und die Gemeinschaft, aus der er kam, seiner Religionsgemeinschaft näher zu bringen. Kürzlich veröffentlichte er eine Broschüre über sie: Fair Lawn erinnert an die Juden von Pacov. Seine Gemeinde ist aktiv an der Zukunft der Pacov-Synagoge interessiert, ebenso wie andere Gemeinden, in denen Pacov-Schriftrollen aufbewahrt werden – Shore Parkway Jewish Center in Brooklyn, Temple Beth Torah in Fremont, Kalifornien, Congregation B’nai Yisrael in Armonk und Farmingdale Jewish Community in Wantagh im Bundesstaat New York und der britischen Milton Keynes & District Synagogue. Alle diese jüdischen Gemeinden sind stolz darauf, Thorarollen der einst lebendigen und aktiven Religionsgemeinschaft in Pacov zu benutzen. Auch die Los Angeles Shoa Victims Foundation und die University of Southern California, an der ich unterrichte, interessieren sich für die Zukunft der Pacov-Synagoge und für die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Pacov.
Bei Ihrem Besuch in Pacov haben Sie auch den Bürgermeister und andere Vertreter der Stadt getroffen. Wie verlief dieses Treffen?
Dank Eva Keroušová von der Bürgerinitiative „Retten wir die Pacov-Synagoge“ traf ich mich mit dem Bürgermeister Lukáš Vlček, mit David Kapalín vom Amt für Denkmalpflege und mit Vlastimil Simota, dem Direktor des Pacov-Museums. Ich schätze den freundlichen Empfang im Rathaus und das Interesse an der Geschichte meiner Familie und meiner Verbindung zur Pacover Synagoge sehr. Bürgermeister Vlček empfahl mir, mit der jüdischen Gemeinde in Prag in Kontakt zu treten und gab mir gute Ratschläge, wie ich die Synagoge zum unbeweglichen Kulturdenkmal erklären und dann leichter Mittel für ihre Restaurierung bekommen könnte. Seiner Meinung nach ist es notwendig, für den Kauf und die Sanierung des Gebäudes eine gemeinnützige Organisation zu gründen. Es ist auch wichtig, mit dem derzeitigen Eigentümer der Synagoge, Herrn Červenka, die Zukunft des Gebäudes und seine zukünftige Renovierung zu besprechen.
Der Bürgermeister äußerte außerdem den Wunsch, dass ihm und dem Stadtrat ein Plan für die künftige Nutzung der Synagoge vorgelegt werde. Er betonte, dass es nun notwendig sei, Herrn Červenka und die jüdische Gemeinde in Prag zu kontaktieren, die Synagoge in die Liste der Kulturdenkmäler einzutragen und einen langfristigen Unterhaltsplan für das renovierte Gebäude zu erstellen. Seine Fragen gaben mir Anstoß für weitere Überlegungen und ich freue mich, dass er seine Kooperationsbereitschaft geäußert hat.
Welchen Eindruck haben auf Sie Pacov und seine Bewohner und Bewohnerinnen gemacht?
Während meines Aufenthalts in Pacov traf ich die lokalen Bewoher und Bewohnerinnen bei einem informellen Vortrag über meine Vorfahren, der am 31. Mai im Café Jankl stattfand. Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine Diskussion über die mögliche Restaurierung und Weiterverwendung der Synagoge. An der Diskussion nahmen zahlreiche Interessierte teil, darunter auch die ehemalige Lehrerin Marie Tušilová, die mit ihrem umfassenden Wissen über die Geschichte von Pacov und der ehemaligen jüdischen Gemeinde zur Diskussion beitrug. Sie sammelte auch mehrere Artikel über die Juden von Pacov, die sie uns am nächsten Tag übergab. Alle Anwesenden zeigten großes Interesse und ich freute mich, dass sie bereit waren, über die Möglichkeit einer Restaurierung der Pacov-Synagoge zu diskutieren.
Am folgenden Tag hatte ich Gelegenheit, mit den Lehrern und Schülern des Pacov-Gymnasiums zu diskutieren. Die Lehrer waren unglaublich herzlich, freundlich und freuten sich, mich den Schülern vorzustellen. Die Studierenden hörten sehr aufmerksam und mit Interesse zu. Ich hoffe, dass ich ihnen die Geschichte meiner Familie, die Geschichte der jüdischen Gemeinde in diesem Teil Südböhmens und die Lebensbedingungen der dortigen Juden in den ersten drei Vierteln des 19. Jahrhunderts näherbringen konnte. Die Studierenden interessierten sich auch für die Auswanderung meiner Familie und für das Leben in den USA. Sie haben mich auch ohne Übersetzung verstanden. Anscheinend war ihr Englisch sehr gut. Ich forderte sie auf, über die Restaurierung der Synagoge und ihre mögliche zukünftige Nutzung nachzudenken. Das Treffen mit Schülern und Lehrern hat bei mir einen sehr positiven Eindruck hinterlassen.
Pacov ist eine wunderschöne Stadt. Ich war sehr angenehm überrascht von der Sorgfalt, die dem örtlichen jüdischen Friedhof und dem Pacov-Museum entgegengebracht wurde. Ich glaube, dass diese Erfahrung eine gute Grundlage für die Restaurierung der Synagoge sein wird.
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