WAS BEDEUTET DER 7. OKTOBER FÜR NELLY GUTMANN – DIE TOCHTER DES LETZTEN RABBINERS VON PACOV?

Nelly Gutmann – die 98-jährige Tochter des letzten Rabbiners von Pacov – und ihre Familie leben heute im Kibbutz Dorot, nur 15 km vom südlichen Gaza entfernt. Der schreckliche Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023 hätte auch sie treffen können und hat ihr Leben, ihre Gefühle und ihre Gedanken von einem Tag auf den anderen und für immer verändert. Was Nelly selbst und ihre Familienangehörige verschiedener Generationen über ihre Gegenwart und Zukunft denken und wie sie nach dem 7. Oktober die Chancen eines Zusammenlebens mit ihren arabischen bzw. palästinensischen Nachbarn beurteilen, können Sie sich in diesem bewegenden ARTE-Video anhören:

https://www.arte.tv/de/videos/118276-000-A/israel-nelly-98-ueberlebende/

und die anderen

Auf unserer Homepage werden bruchstückhafte Erzählungen der Überlebenden festgehalten. Wie in anderen europäischen Ländern und Städten behandeln diese Geschichten nur einen kleinen Bruchteil der jüdischen Bewohner und Bewohnerinnen. Über die überwiegende Mehrheit der Juden und Jüdinnen aus Pacov wissen wir sehr wenig oder gar nichts. Dennoch ist es wichtig, dass zumindest die Fragmente, die im Gedächtnis ihrer Zeitgenossen festgehalten und von nachfolgenden Generationen weitergegeben und für die Zukunft erhalten bleiben.

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Wir sind mit allen gut ausgekommen

sagt über ihre Kindheit in Pacov während der ersten tschechoslowakischen Republik Nelly Prezma, geborene Guttmanová

Prezma, geborene Gutmanová (90) erinnert sich an ihre Kindheit in Pacov vor dem 2 Weltkrieg, an den Transport der Juden aus Pacov ins Konzentrationslager und an ihre Rückkehr in die Tschechoslowakei nach dem Kriegsende. Das Gespräch wurde geführt und aufgezeichnet von Eva Sobotková in Israel, wo Frau Nelly seit 1948 lebt.

Erschienen in der Mainummer der Monatszeitschrift Z mého kraje und in verkürzter Form auch in  am 27. 1. 2017 in Pelhřimovský deník.

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Er nahm aktiv am gesellschaftlichen Leben von Pacov teil und hatte hier viele Freunde

Über das Leben eines Patrioten, Vertreters der tschechisch-jüdischen Bewegung und des Regisseurs und Chronisten des lokalen Freiwilligentheaters Vilém Zirkl

Eine interessante Etappe in der Geschichte der Juden in Böhmen und Mähren stellt die sogenannte tschechisch-jüdische Bewegung dar. Seine Anhänger strebten die sprachliche und kulturelle Assimilation der Juden in der wiedererstandenen tschechischen Nation an, weshalb ihre Aktivitäten zunächst einen fast nationalen Wiederbelebungscharakter hatten. Die erste Plattform, auf der sich diese Assimilationisten versammelten, war der im Frühjahr 1876 in Prag gegründete Verein tschechischer jüdischer Akademiker (SČAŽ). Dieser Verein hatte Gründungsmitglieder sowie ehrenamtliche, beitragende und aktive Mitglieder. Die letzten waren Studenten und Absolventen jüdischer Universitäten. Das Leitungsgremium des Vereines – der Vorstand – wurde aus der Mitte der aktiven Mitglieder gewählt. Der Zweck des Vereins bestand darin, die Gegenseitigkeit zu fördern und bedürftige aktive Mitglieder bei ihrem Studium zu unterstützen. SČAŽ organisierte Vorträge und Bälle, gründete Bibliotheken und sorgte für Mittagessen und Fitness für seine Mitglieder. Ab 1881 gab er die Zeitschrift Tschechojüdischer Kalender heraus.

Viele der Anhänger der Bewegung stammten aus Ost- und Südböhmen und waren Absolventen tschechischsprachiger Gymnasien, die ihr Studium in Prag fortsetzten. Seit 1862 gab es in Tábor das erste Realgymnasium mit ausschließlich tschechischer Unterrichtssprache. Eine Reihe von Persönlichkeiten durchliefen es, die danach Mitglieder von SČAŽ wurden und später in der tschechisch-jüdischen Bewegung eine herausragende Rolle spielten.

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Er lehrte gut, mit Leib und Seele und er blieb Lehrer auch nach seiner Pensionierung

Dr. Hugo Jokl nach seiner Promotion zum Philosophiedoktor an der Universität Wien

Unser Vater Prof. Dr. Hugo Jokl wurde am 25. April 1891 in Pacov, Žižkova-Straße Nr. 207, geboren. Sein Vater Filip (geboren am 18. November 1855, gestorben in Pacov am 6. Januar 1929) wanderte durch die Gegend und kaufte Lumpen, Knochen und Felle. Seine Mutter hatte drei Söhne und kümmerte sich um den Haushalt und um die Kinder. Der älteste Sohn, Artur, erlernte das Handwerk und ließ sich später in Chýnov nieder, der mittlere Sohn, Richard, gründete ebenfalls ein Textilgeschäft und betrieb es in Pacov in der Žižková-Straße, wo sich heute eine Apotheke befindet. Die Brüder Artur und Richard heirateten die Schwestern Hermann aus Senožaty, Artur die Berta und Richard die Olga.

Seine Mutter und meine Großmutter, Alžběta Joklová, geborene Pachnerová (geboren am 22. November 1856 in Pacov, gestorben 1943 im Ghetto Theresienstadt) wünschte sich, dass ihr Sohn Rabbiner würde. Deshalb ging Papa im Alter von zwölf Jahren nach Prag um zu studieren und absolvierte 1912 das Gymnasium in der Truhlářská-Straße. Er besuchte die gleiche Klasse wie Karel Poláček und ihre Freundschaft hielt Poláčeks Leben lang.

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Alle Leute, die ich kannte, blieben bei meinem Großvater stehen und fingen an, mit ihm zu reden

Die Lebensgeschichte des in Pacov geborenen Holocaustüberlebenden Leopold Pachner nach Erinnerung seiner Enkelin Zuzana Lehner und ihrer Mutter Františka Adamová

Leopold Pachner war der Sohn von Anna Pachnerová (* 20.09.1897), geb. Schlesingerová (Tochter von Bernard Schlesinger und Josefina Kohnová, geb. 2.10.1874 in Golčův Jeníkov), deren Vater Adolf 1925 starb. Er hatte einen Bruder, der vor dem Krieg starb und eine Schwester, die im Konzentrationslager umkam. In Pacov hatte er ein Geschäft für feine Lederwaren wie Brieftaschen, Brusttaschen usw. Er reiste angeblich regelmäßig nach Paris, um Modetrends zu verfolgen, und hatte ein ganzjährig im Voraus bezahltes Hotelzimmer in Prag, damit er täglich an Geschäftstreffen teilnehmen konnte. Seine Mutter, Anna Pachnerová, betrieb ein Textil-Kurzwarengeschäft in der Myslíková-Straße 74, wo auch Leopold Pachner geboren wurde.

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Er war der einzige Überlebende aus seiner ganzen Familie

Jaroslav Lustig wurde am 13. Januar 1911 in Lukavec geboren, wo sein Vater Alois Lustig einen Gemischtwarenladen betrieb. Er war verheiratet mit Milena Bohumila Lustigová, geborene Poláčková, Tochter von Emanuel Poláček und Marie, geborene Tellerová (*13.1.1910, Pacov), mit der er einen Sohn Jiří (*3.12.1939, Pelhřimov) hatte. Sie lebten in Pacov im Haus Nr. 437.

Ab seinem 18. Lebensjahr im Jahre 1929 war Jaroslav bei der Firma der Gebrüder Lederer in Pacov angestellt. Er arbeitete dort zunächst als Handwerker und Handelsreisender, später als Filialleiter. Aufgrund antijüdischer Gesetze wurde er Ende Oktober 1940, als das Unternehmen bereits unter Konkursverwaltung stand, entlassen und seine Familie zog im Januar 1941 nach Kamenice nad Lípou. Seinen Erinnerungen zufolge wurde dort beim landwirtschaftlichen Grossgrundbesitzer eine Gruppe von Waldarbeitern gegründet, der auch er zugeteilt wurde.

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Sie rettete sich durch die Flucht vom Todesmarsch

Die Geschichte von Věra Ledererová, die den Aufenthalt im KZ überlebte und nach der Flucht vom Todesmarsch in Košetice bei Pacov versteckt war

Věra Ledererová-Kaufmannová mit Egon Kaufmann im 1942

Věra Ledererová (20. Oktober 1920 – 1998) war Tochter des Kaufmanns Emil Lederer, der auch langjähriger Vorsitzender der jüdischen Religionsgemeinschaft von Pacov und Mitglied des dortigen Stadtrates war. Emil Lederer gehörte in Pacov nach der Besetzung zu den ersten Verhafteten. Er wurde im April 1940 verhaftet und kam 1942 im Konzentrationslager Buchenwald (Bernburg) um.

Im Frühjahr 1942 heiratete Věra Ledererová den damals im Arbeitslager Lípa stationierten Egon Kaufmann, der anlässlich der Hochzeit eine befristete Reiseerlaubnis nach Pacov erhielt. Im November 1942 wurde sie zusammen mit ihrer Mutter Berta und ihrer vier Jahre jüngeren Schwester Zdenka wie die anderen Juden aus Pacov über Tábor nach Theresienstadt deportiert. Dort bewarb sie sich als ehemalige Krankenschwester um eine Stelle im Gesundheitswesen und wurde in die Dresdner Kaserne eingeteilt, wo sie sich bei der Behandlung von Patienten mit eitrigen Entzündungen eine schwere Ruhr zuzog. Sie hatte hohes Fieber und verlor in einer einzigen Woche fünfzehn Kilogramm, aber dank einer guten medizinischen Versorgung erholte sie sich.

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Wer weiß, was das für eine Asche war?! 

Die Lebensgeschichte von Hanuš Bader

Hanuš Bader war einer der wenigen Holocaust-Überlebenden, die im November 1942 von Pacov nach Theresienstadt deportiert und später in den meisten Fällen weiter nach Auschwitz gebracht wurden. Auch er durchlief das Konzentrationslager Auschwitz, von wo aus er später zur Zwangsarbeit nach Schwarzheide verlegt wurde. Am Ende des Krieges wurde er nach Bergen-Belsen deportiert, wo er kurz vor seinem Tod von der britischen Armee befreit wurde.

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Unterstützung der Renovation der Pacov-Synagoge

Die bisherigen Renovationsarbeiten wurden durch private Spenden, Beiträge der Stadt Pacov und durch Zuschüsse des Tschechisch-Deutschen Zukunftsfonds, des Stiftungsfonds für Holocaust-Opfer und von der britischen Stiftung The Friends of Czech Heritage finanziert. Auf der Website Darujme.cz können nun auch Sie die nächste Phase des Wiederaufbaus der Synagoge in Pacov finanziell unterstützen. Diese sogenannte Südwandphase umfasst die Herstellung und den Einbau von zwei Kirchenfenstern auf der Südseite der Fassade sowie die Gesamtrestaurierung der Südfassade in ihren ursprünglichen Zustand.

Für diesen Teil des Umbaus liegt bereits eine gültige Baugenehmigung vor. Seit 2020 ist die Synagoge in Pacov ein nationales Kulturdenkmal, und alle Bauarbeiten werden vom Nationalen Denkmalinstitut in Telč begleitet. Auch die dritte Phase des Wiederaufbaus wird von der lokalen Baufirma Stavneko durchgeführt, die für alle Arbeiten seit 2021 verantwortlich ist und über umfangreiche Erfahrung in der Sanierung kultureller und historischer Denkmäler verfügt. 

In der Region Pelhřimov und auch in der Region Tábor wurden die meisten jüdischen Denkmäler zerstört – zahlreiche davon erst in den 1970er Jahren. Ein Beispiel ist die ehemalige Synagoge in Pelhřimov und auch diejenige in Tábor. Auch in kleineren Städten wurden Synagogen abgerissen, beispielsweise in Hořepník. Die einzige Ausnahme bildet die großzügig renovierte Synagoge in Nová Cerekev. Die Synagoge in Pacov stellt somit eines der wenigen Beispiele einer bis heute erhaltenen jüdischen Baute dar. Eine Besonderheit ist auch die Tatsache, dass hier der gesamte Denkmalkomplex der ehemaligen jüdischen Gemeinde erhalten geblieben ist – eine Synagoge, ein Rabbinerhaus, eine Schule und ein jüdischer Friedhof. Innerhalb der Region Pelhřimovsko handelt es sich daher um eine ganz außergewöhnliche Situation, die Chancen für den Tourismus bietet, aber möglicherweise auch eine wichtige Kultur- und Bildungsressource für die Stadt Pacov und für die gesamte Region darstellt. “Nach Angaben des örtlichen Gemeindeamtes besuchen jedes Jahr etwa 1.000 Besucher die Synagoge in Nová Cerekev. Aus früheren Erfahrungen wissen wir, dass Besucher daran interessiert sind, Führungen zu mehreren jüdischen Denkmälern während eines Besuchs miteinander zu verknüpfen. Diese Möglichkeit hatten sie bisher nicht, da es in der Region nur eine restaurierte Synagoge gab, die für einen Besuch geeignet war. Die Erneuerung der Synagoge in Pacov wird diese Situation verändern. Wenn wir die Synagoge zugänglich machen, wissen wir aus früheren Erfahrungen auch, dass bei Schülerinnen und Schülern der örtlichen Schulen Interesse daran besteht. Auch bei Lehrern besteht Interesse“, beschreibt Pavel Tychtl, Vorsitzender des Vereins Tikkun Pacov, die Chancen des Erneuerungsprojektes.